Die Geschichte und Bedeutung zweier Kruzifixe: Anlässlich des 700. Todestages der Kirchenpatronin sowie auf Drängen des Leiters der staatlichen Denkmalpflege, Dr. Robert Hiecke, fand in den Jahren 1930-1931 unter Regierungsbaurat Hubert Lütcke eine umfangreiche Sanierung des Innenraums statt. Das gewandelte Stilempfinden spiegelte sich nun in der Umsetzung wider und steht in starkem Kontrast zur überladenden Ausgestaltung des 19. Jahrhundert.
Die Chorschranke wurde gänzlich von allen neogotischen, aus der vorherigen Restaurierung stammenden Figuren sowie vom Triumphkreuz befreit und offenbarte sich dann in ihrer puren, monochromen Architektur. Ein modernes Kreuz sollte nun den Altar schmücken und die große Leere der zentralen Chorschrankennische füllen.
Dieser Aufgabe widmete sich der Berliner Denkmalpfleger Dr. Hiecke ohne Rücksprache mit Marburger Instanzen. Er griff auf ein Gipsmodell für ein Kruzifix des Künstlers Ernst Barlach zurück, dass dem Staatsbauamt in Berlin als Entwurf für einen Soldatenfriedhof zugeschickt, aber bis dahin nicht ausgeführt worden war. In Bronze gegossen erfolgte die Umsetzung auf Kosten des Staatlichen Bauamtes in Berlin. Schließlich gelangte es Ende Oktober 1931 nach Marburg, wo die moderne, menschliche Darstellung des Gekreuzigten am gebogenen Kreuzbalken die Gemeinde spaltete. Persönlichkeiten wie der Kunsthistoriker Richard Haman oder Hubert Lütcke schätzten das Kreuz für seine Ausdrucksstärke. Die Mehrheit lehnte es jedoch ab.
Nur wenige Jahre später wurde es unter den Nationalsozialisten als „entartete Kunst“ eingestuft und musste 1936 aus dem öffentlichen Kirchenraum beseitigt werden. Der Kirchenvorstand wollte das Kreuz jedoch nicht aufgeben, woraufhin Prinz Philipp, Oberpräsident der Provinz Hessen, einen Kompromiss vorschlug. Er ersetzte das Barlach-Kreuz durch ein schlichtes Kruzifix aus seinem Besitz und verlagerte das denunzierte Werk auf einen Nebenaltar.
Nach Kriegsende erhielt die Elisabethkirche das Barlach-Kreuz für ihren Altar vor der Chorschranke zurück. Seitdem erfüllt das Kruzifix des namhaften Künstlers Ernst Barlach nicht nur religiöse Zwecke, sondern erinnert als „Zeitzeuge“ an gewandelte kunst- und kulturpolitische Interessen und ermutigt zum persönlichen Engagement.
Das Kruzifix des Prinz Philipp von Hessen wechselte seit 1980 mehrfach den Aufstellungsort. Aktuell steht es im südlichen Seitenschiff. Es handelt sich um ein schlichtes Altarkreuz mit „INRI“-Schriftband am kurzen, oberen Kreuzarm. Der Gekreuzigte ist in Dreipunktnagelung realistisch dargestellt. Der hohe Fuß trägt ein zierliches Relief des hessischen Löwen auf der Vorderseite. Die rückseitige Inschrift bezeugt die Schenkung anlässlich des 700jährigen Kirchenjubiläums durch PHILIPP v. LOTHRINGEN u. BRABANT. PRINZ u. LANDGR. z. HESSEN.
Quellen:
LEMBERG, Margret, Die Chorschranke in der Marburger Elisabethkirche, Marburg 2006.
LEPPIN, Eberhard, Die Elisabethkirche in Marburg, Marburg 1983.