„Seht, ich habe es euch doch gesagt, wir sollen die Menschen fröhlich machen.”

Previous Next

Verborgene Kunstschätze: Die Figuren der Chorschranke

Die Lettnerfiguren aus dem 19. Jahrhundert. Foto: Christian Lademann

Unter den Ausstattungsstücken der Elisabethkirche gebührt der Chorschranke besondere Aufmerksamkeit. Das Erscheinungsbild der teils durchbrochen gestalteten, steinernen Trennwand spiegelt anschaulich die gesellschaftlichen und ästhetischen Veränderungen über die Jahrhunderte wider.

Die Chorschranke / der Lettner: Erst Mitte des 14. Jahrhunderts wurde sie zur Abgrenzung des stillen Bereichs der Deutsch Ordensbrüder vom belebten Gemeinderaum errichtet und wechselte seitdem mehrfach ihr Äußeres. Jeder Eingriff hinterließ sichtbare Spuren. Besonders betroffen war stets die Galerie mit ihren Nischen, Podesten und Baldachinen für ein umfangreiches plastisches Bildprogramm.

Etwa 46 Statuen zierten ursprünglich die Trennwand und bestimmten somit wesentlich den Gesamteindruck. Sie fielen jedoch nach knapp 300 Jahren der Reformation zum Opfer. Zunächst blieb das Ensemble dank des Einflusses des Deutschen Ordens unversehrt. 1619 befahl der reformierte Landgraf Moritz der Gelehrte unter Berufung auf das alttestamentliche Bilderverbot die Vernichtung sämtlicher Figuren westlich der Chorschranke. Neben einzelnen Fragmenten von etwa zwölf Figuren, die im Rahmen einer archäologischen Grabung 1889 gefunden wurden, überlebten nur zwei Skulpturen in Gänze die Zerstörung.

Bei den erhaltenen ganzfigurigen Skulpturen aus dem 14. Jahrhundert handelt es sich um die Apostel Philippus und Jacobus, die sich durch ihre Attribute, das Kreuz und das Schwert, auszeichnen. Beide Sandsteinstatuen flankieren den Südeingang. Sie vermitteln uns heute einen Eindruck von der mittelalterlichen Gestaltung und Farbigkeit der Chorschranke und stehen stellvertretend für die verlorenen Figuren des 14. Jahrhunderts. Es ist davon auszugehen, dass die Chorschranke alle 12 Apostel präsentierte. Weitere Indizien zum ursprünglichen Bildprogramm geben die, teils im Marburger Kulturmuseum ausgestellten Fundstücken von 1889. Darunter befinden sich die sitzenden Figuren von Maria und Christus. Vermutlich stellen sie die Marienkrönung dar und waren in einer der großen Nischen im Mittelteil platziert. Kleinere Engelsfiguren füllten die untere Konsolenreihe.

Über zwei Jahrhunderte verharrte die stark vom brutalen Bildersturm der Reformation gezeichnete Chorschranke als monochrom gefasste Trennwand mit abgeschlagenen Architekturteilen und ohne Figurenschmuck. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts erstarkte das Verlangen nach Wiederherstellung der einstigen Schönheit. Der Kircheninnenraum war nach einem Starkregen am 3. August 1847 großflächig geflutet und musste grundlegend saniert werden. In dem Zusammenhang sollte auch auf Wunsch des Kasseler Ministeriums des Innern dieses gotische Ensemble rekonstruiert werden. Mit der Restaurierung wurde 1854-1861 der Architekt Friedrich Lange beauftragt. Schon von Anfang an sorgte die Wiederherstellung der Chorschranke und ihr Figurenprogramm für kontroverse Diskussionen.

Besondere Uneinigkeit bestand in der Farbfassung. Friedrich Lange strebte aufgrund der überlieferten Figuren eine mehrfarbige Ausführung an. Zur Veranschaulichung bestückte er anlässlich eines Besuchs des Kurfürsten den Mittelteil mit alten und neuen farbigen Statuen. Der Kurfürst war nicht überzeugt und ordnete an, dass alle noch aufzustellenden Statuen monochrom zu fassen seien. Schließlich blieb der Mittelteil farbig. Die Seitenfiguren erhielten eine graue Fassung. Auch die Rekonstruktion des Figurenkonzepts war spekulativ, da zu diesem Zeitpunkt im Wesentlichen nur die beiden Apostelfiguren bekannt waren und als Anhaltspunkt dienen konnten.

Das Zentrum mit den zwei größeren Nischen wurde nun als Mittelrisalit mit Maßwerkbogen und kanzelartiger Empore weiter hervorgehoben. Eine Pietá mit zwei weiblichen Assistenzfiguren und der auferstandene Christus zwischen „schlaftrunkenen Wächtern“ fanden hier Platz. Sie wurden seitlich von Aposteln und Evangelisten flankiert. Die Seitenflügel zeigen links weibliche und rechts männliche Heilige. Musizierende Engel bilden die untere Figurenreihe. Die Statuen wurden größtenteils vom Gipsformer Umbach und der Firma C. Dopmeyer in Hannover in Betonguss gefertigt. Sie gehen teils auf Entwürfe des Bildhauers Carl Hassenpflug zurück.

Während konfessionelle Gründe zur Vernichtung des ersten Bildprogramms führten, hatte die Entfernung des zweiten Figurenschmucks vorrangig ästhetische Gründe. Bereits 1883 kritisierte Carl Schäfer die Ausführung der zentralen Figuren. Im Rahmen der Innensanierung 1931 veranlasste Hubert Lütcke schließlich die Beseitigung. Die Figuren sollten dem Mittelalter nachempfunden werden, entsprechen jedoch eindeutig dem übersteigerten Pathos und Ideal der standardisierten Ebenmäßigkeit des 19. Jahrhunderts. Gleichzeitig erinnern sie an eine Zeit der Rückbesinnung und Rezeption des Mittelalters mit ersten denkmalpflegerischen Tendenzen. Im nördlichen Seitenschiff repräsentiert die Figur der Elisabeth mit dem Rosenwunder das Bildprogramm des 19. Jahrhunderts. Weitere Statuen werden in der Oberkapelle aufbewahrt.

Quellen:
BICKELL, Ludwig, Zur Erinnerung an die Elisabethkirche zu Marburg und zur 6. Säcularfeier ihrer Einweihung, Marburg 1883.
BÜCKING, Wilhelm, Das Innere der Kirche der heiligen Elisabeth zu Marburg vor ihrer Restauration, Marburg 1884.
KOLBE, Wilhelm, Die Kirche der heiligen Elisabeth zu Marburg; Zum sechshundertjährigen Weihetag der St. Elisabethkirche dem ersten Mai 1883, Marburg 1883.
LEMBERG, Margret, Die Chorschranke in der Marburger Elisabethkirche, Marburg 2006.
LEPPIN, Eberhard, Die Elisabethkirche in Marburg, Marburg 1983

Bildergalerie von der Chorschranke mit Figuren